Westfälische Nachrichten, Feuilleton, 29.3.15
Münster - Zwiespältigkeit im Charakter von Despoten sei ein zeitloses, in der Moderne virulentes Thema, sagt Enrico Otto, Gründer des Theaterlabors der Universität: „Sehen sie sich Hitler oder Ceausescu an.“ Für ihn lag es daher nahe, die Antigone des Sophokles neu zu inszenieren und im Hiltruper Kulturbahnhof auf die Bühne zu bringen.
Von Hendrik Heft
In Kreon, dem König von Theben und Onkel der Heldin Antigone, sah er eine besondere Tragik, die zwar auch in früheren Bühnenversionen angelegt, aber nicht voll entfaltet sei. Vom Darsteller verlange dies eine besondere Theatralik. Claus Becker bediente diese Erwartung vollkommen. Eben noch mit diabolischem Blick und einer schönen Frau auf dem Schoß thronend, verkörperte er den Herrscher, dem das eigene Vergnügen an erster Stelle steht. Im nächsten Moment verwandelte er sich in einen cholerischen, um die Festigkeit seiner Macht fürchtenden und von Selbstzweifeln geplagten Herrscher. Diese Überkommen ihn, als er Antigone töten lassen will, weil sie ihren Bruder Polyneikes bestattet. Das hatte Kreon verboten und den Toten vor der Stadt liegen lassen. Die charakterliche Stärke der von Christina Winkelmann gespielten Heldin verunsichert den König, der zwar seine eigenen Gesetze ohne Milde vollstrecken will, aber Angst vor den Folgen hat.
Kreons Sohn Hämon, der Verlobte der Antigone, versucht für sie zu intervenieren und bringt sich bei ihrer Hinrichtung selbst um. Grenzenlos ist die Trauer der Schwester Ismene, die zwar die Ältere, aber deutlich Verzagtere ist. Kreon verteidigt Grausamkeit mit dem Zwang seines Königtums. „Es ist schmutzige Arbeit, aber wer soll sie sonst machen?“
Westfälische Nachrichten, Lokales
Münster-Hiltrup - Theaterlabor Münster führt verkürzte Fassung voll „Antigone“ im Kulturbahnhof Hiltrup auf. Von Helga Krezschmar
Eine Stunde, zehn Minuten oder eine Stunde acht Minuten. Das war der Zeitrahmen. den Dr. Enrico Otto den Laienschauspielern gab. Viel mehr wäre ihnen vor der dem Hintergrund der griechischen Tragödie kaum zuzumuten gewesen. „Wir haben das Stück bewusst reduziert“. sagte der Regisseur, der nunmehr mit dem Theaterlabor seit September vergangenen Jahres das fünfte Projekt im Kulturbahnhof realisieren konnte. „Wir wollen die Bandbreite europäischer Kultur zeigen“, sagte er, wobei das Stück „Antigone“ sicherlich zur Weltliteratur gehöre. Otto hat es mit dem Stück verstanden. die antike Tragödie in die Gegenwart zu transportieren.
Kreon, König von Theben, hatte per Gesetz erlassen Polyneikes nicht bestatten zu lassen. König Ödipus´ Tochter Antigone, die die Bestattung ihres Bruders Polyneikes selbst vornahm und sich damit gegen das Gesetz auflehnte, bezahlte das schließlich mit dem Leben. Obwohl ihr Onkel Kreon, Bruder ihrer Mutter Ioskaste, zunächst zögerte, sie töten zu lassen, aber sie forderte ihr Recht.
Ein hochaktuelles Stück, das nach dem Autor Jean Anouilh 1944 in Paris uraufgeführt wurde, und genau das beschreibt. was uns gegenwärtig widerfahren kann. Ein diktatorisches Regime, verkörpert von Persönlichkeiten, die das Böse in sich vereinen. Die nach außen hin das Volk unterdrücken und intern ein Luxusleben führen. Tragisch nur, dass sie das Leben einholt. Nach dem Verlust von Antigones Brüdern Eteokles und Polyneikes und damit den Neffen des Diktators Kreon droht weites Unheil im Hause des Königs von Theben. Nach der Ermordung von Antigone stürzt sich ihr Verlobter und Sohn Kreons, Hämon, in den Tod. Antigones Mutter Iocaste ebenfalls.
Das Stück birgt die Tragik in sich selbst, in dem König Kreon – hervorragend gespielt von Claus Becker - der sich seiner Verwandten entledigt hat und nun einsam sein Leben Revue passieren lässt. Aktueller kann ein antikes Stück nicht sein. Viele Diktatoren haben das Volk unterdrückt. Sich aufzulehnen, haben manche Aufständische mit dem Leben bezahlt. wie Antigone.
Dem Publikum hat es gefallen, besonders während der Premierenvorstellung am Donnerstag. als viele Zuschauer nach der Vorstellung an einer zweistündigen Diskussion teilnahmen. Es ist tolle Zusammenarbeit. die sich zwischen dem Theaterlabor und der Initiative Kulturbahnhof entwickelt hat. 40 Ehrenamtliche tragen dazu bei, dass der Betrieb läuft, die Bühne aufgestellt, die Eintrittskarten kontrolliert und letzten Endes auch das Licht nach jeder Vorstellung ausgeschaltet wird.
Fotos: Jochen Grebe