Westfälische Nachrichten
10.6.13 (Münster-Premiere)
Der Held: ein Schauspieler, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Sein Wunsch: die Rückkehr auf die Bühnenbretter. Das münsterische Theaterlabor präsentierte „Ich, Feuerbach“ als Karikatur auf den sich rasant verändernden Theaterbetrieb.
Von Peter Sauer
Gebückt schlurft der knorrige Regieassistent ins Theater. Für ihn ist es nur ein Job. Ganz anders für den Schauspieler Feuerbach. Stampfend wie eine Dampflok und mit Feuerglut in den Augen, als ob gleich ein Fleisch gewordenes Erdbeben die Bühnenbretter zum Beben bringt, stürmt er mit einem zum Bersten vollen Koffer auf die Bühne. Feuerbach reißt den gelangweilten Regieassistenten aus seiner Lethargie, denn für den Schauspieler geht es um alles oder nichts. Um seine vermeintlich letzte Chance, dem Regisseur und Intendanten sein Können zu zeigen. Beim Vorsprechen. Denn die vergangenen sieben Jahre pausierte Feuerbach – in der Psychiatrie.
Das Theaterlabor Münster begeisterte am Wochenende mit einer erfrischenden Neuinszenierung des Theaterstücks „Ich, Feuerbach“, das Tankred Dorst 1986 verfasste. Der junge Schauspieler Claus Becker zeigt die Häutungen eines Schauspielers zwischen Wahn und Wirklichkeit. Der massige Mime spielt den aus der Zeit gefallenen Schauspieler alter Schule als Karikatur auf den sich rasant verändernden Theaterbetrieb.
Mit vollem Körpereinsatz hechtet er bei tropischen Temperaturen im Theaterlabor schneller über die Bühne als mancher Fußballer über den Platz, reißt sich seine Seele aus dem Leib, seine Alltagsklamotten vom Körper, um in die Theaterkleidung zu schlüpfen, die ihm Stärke und Schutz verleihen soll. Doch protzt er mit ihr arrogant herum, wie ein Gustav Gründgens auf Speed. Im Regieassistenten (staubtrocken beiläufig: Jörn Knost) hat er ein gutes Opfer gefunden, um seine Theater-Talente zu zeigen.
Der „Tasso“-Monolog bringt schließlich die schmerzhafte Wahrheit ans Licht. Feuerbach ist nur noch ein trauriger Clown, ein Schatten seiner selbst. Der von Feuerbach so sehnlich erwartete Regisseur und Intendant nimmt genauso wenig Kenntnis von ihm wie die Bühnenarbeiter, die stoisch seine Requisiten abräumen. So viel Ignoranz bringt den Schauspiel-Vulkan Feuerbach zum Erlöschen. Darsteller Claus Becker brilliert mit brachialen körperlichen Ausbrüchen und feinen stillen Momenten. Er jongliert vortrefflich mit Theaterklischees. Regisseur Enrico Otto zeigt mit hohem Tempo, großer Pointen-Dichte und aufrüttelnden Momenten, dass Dorsts bissige Theaterkritik nichts an Aktualität eingebüßt hat.
Westfälische Nachrichten
3.6.13 (Premiere)
Lüdinghausen - Einen guten Griff hatte das KAKTuS Kulturforum Lüdinghausen am Freitag getan. Unter der Regie von Enrico Otto brachte das Theaterlabor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Kapitelsaal der Burg Lüdinghausen das Drama „Ich, Feuerbach“ des deutschen Schriftstellers Tankred Dorst auf die Bühne. Das Publikum war begeistert.
Von Moritz Zimmer
Premiere feierte am Freitagabend das Theaterlabor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Kapitelsaal der Burg Lüdinghausen. Auf die Bühne gebracht wurde unter der Regie von Enrico Otto das Drama „Ich, Feuerbach“ des deutschen Schriftstellers Tankred Dorst, der im Jahr 1950 sein Abitur am Canisianum gemacht hat.
Die Hauptrolle des Schauspielers Feuerbach füllte Claus Becker aus, in den weiteren Rollen zeigten sich Jörn Knost und Dorothee Kersting. Des Weiteren waren zwei Statisten in die Geschichte eingebunden. Veranstalter des Theaterstücks war das KAKTuS Kulturforum.
Das Theaterlabor der WWU ist ein „Experimentierfeld im Bereich der Formen praktischer Theaterarbeit“. Studenten aller Fachrichtungen, laut Enrico Otto meist aus dem Bereich der Germanistik oder Philologie, aber auch andere Fachstudenten, können dort theaterpraktische Versuche unternehmen. Im Rollenstudium bringen sich die Schauspieler als „typologisch orientiere Spieler“ in die Spielgruppe ein. Anhand der unterschiedlichen Typologien wird dann ein Stück gesucht, das zu den Darstellern passt. „Der Protagonist Feuerbach ist eine Bombenrolle für Claus Becker“, kündigte Regisseur Otto den Jurastudenten im fünften Semester im Vorfeld an.
Damit versprach er nicht zu viel: Becker brillierte in einem Stück, das ihm auf den Leib geschrieben zu sein schien: Der mittel- und arbeitslose Schauspieler Feuerbach, wegen eines siebenjährigen Psychiatrieaufenthalts außer Dienst, will bei dem Regisseur Lettau in einem Theater vorsprechen. Anstelle des Intendanten trifft er aber lediglich dessen Assistenten an, der sich herzlich wenig für Feuerbach und dessen Monolog, der nur durch kleine Unterbrechungen des Regieassistenten und der Frau, die verzweifelt ihren Hund sucht, unterbrochen wird. Lettau selbst lässt sich wie zu erwarten gar nicht blicken.
„Eine lustige Geschichte, die aber auch den bitteren Ernst des Berufs eines Schauspielers aufzeigt“, zieht Enrico Otto Parallelen des natürlich überspitzten Existenzkampfes Feuerbachs zur Realität. Das Lüdinghauser Publikum im gut gefüllten Kapitelsaal zeigte sich begeistert von den Leistungen der nicht-professionellen Schauspieler aus Münster und dankte ihnen mit minutenlangen stehenden Ovationen.
Münstersche Zeitung
20.10.14 (Wiederaufnahme)
Fotos: Jochen Grebe